Die Wolkendecke öffnet sich über der Türkei. Bläuliches Dämmerlicht umhüllt die spärlich besiedelte Gebirgslandschaft. Mein Sitznachbar heißt Abdullah und ist zwei Jahre alt. Seine Mutter ist gesprächig. Ihr hübsches Gesicht wird von einem weißen Kopftuch umrahmt. Die Syrierin studiert in Frankfurt Architektur, ihr kleiner Sohn ist bei einer deutschen Tagesmutter untergebracht. Die beiden besuchen Verwandte in Damaskus.
Wir befinden uns im Landeanflug auf die syrische Hauptstadt. Der Kapitän entlässt seine Fluggäste auf Arabisch mit den Worten: „Allah sei Dank, dass ihr in Frieden angekommen seid!“ „Gott ist bei uns immer im Spiel“, flüstert mir die junge Frau augenzwinkernd zu.
Damaskus schmiegt sich auf 700 Meter Höhe an die Hänge des Dschebel Quassiun, des Hausbergs. Von dessen Anhöhe aus überblickt man die mondänen Wohnviertel, deren Häuser die Berghänge heraufdrängen, und die Altstadt, die von der UNESCO auf die Liste der Weltkulturgüter gesetzt wurde. Die „Straße der Revolution“ durchteilt diese Stadt der Kaufleute und Händler.
Tausende von Läden, ein Gewirr von Altstadtgassen und Cafés innerhalb der Stadtmauern. Der Suq ist das Herz von Damaskus. Von Blechdächern überwölbt, reihen sich die Textil- und Goldläden, Seiden- und Buchhändler aneinander. Kleine Imbissstuben und Restaurants in den Nebengassen. Die Frauen mit Tschador in der Nähe der Umayyadenmoschee und in den Suqs sind mit ihren Familien aus den Nachbarstaaten angereist, um die Moscheen zu besuchen, aber auch, um das freie Leben in Syrien kennen zu lernen. Die Umayyadenmoschee war ursprünglich ein Tempel, dann eine Kirche – und nun ist sie die wichtigste Moschee des Orients. Der Gebetsraum soll eine Oase der Ruhe sein, doch hier wird nicht nur gebetet, hier trifft man sich auch zur Entspannung und zum Plaudern. Der weiße Marmorbelag des Innenhofes lädt die Kinder zum Spielen ein.
Das Porträt des Präsidenten Baschar al-Assad, von dem eine vorsichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Öffnung erwartet wird, ziert beinahe jedes Haus. George W. Bush ortet Syrien seit langem auf der „Achse des Bösen“. Doch mag man der Regierung auch grobe Menschenrechtsverletzungen vorwerfen, TouristInnen können sich sicher fühlen. Die langen Schatten der Baath-Partei und die allgegenwärtige Geheimpolizei bleiben unsichtbar. Syrien ist ein Land religiöser und ethnischer Vielfalt, und diese nährt die Toleranz. Neben den Arabern leben hier Beduinen als Nomaden in den Wüstengebieten, Armenier, Aramäer, Kurden und Turkmenen.
Die Gesellschaft Syriens ist im Wandel begriffen. Empfing man bis vor kurzem nur zwei Fernsehsender, bringen heute Satellitenschüsseln dreihundert und mehr Sender ins Haus. Die syrischen „Soap Operas“ handeln wie im Westen von Liebe und Schmerz und enden mit opulenten Hochzeitsszenen.
Manche Frauen entschließen sich nach der Hochzeit, oft gegen den Willen des Mannes, zum Kopftuchtragen. Ist dies der Einfluss der älteren Frauen, der religiösen Gruppierungen, die diesen Brauch mit Geldbeträgen honorieren, oder einfach das sichtbare Zeichen einer religiösen Frau?
Schnurgerade führt die Straße von Damaskus in die Syrische Wüste, an zahllosen Schafherden und Nomadensiedlungen vorbei. Auf den kargen Steinböden finden sich genügend Disteln und anderes Gestrüpp, wovon sich die Schafe ernähren können. Für ein Schaf werden derzeit 8.000 syrische Pfund bezahlt, umgerechnet etwa 120 Euro.
Hoch mit roten Wasserkanistern beladene LKWs zweigen bei der einzigen Kreuzung in den Irak ab. Ein totes Kamel verwest am Straßenrand.
Im „Café Bagdad“ Pause. Eine Vogelscheuche hinter dem Haus soll Wölfe verscheuchen. Der Kaffee ist süß und stark. Ein mit Diesel beheizter kleiner Ofen wärmt einen Bienenstockbau.
Die dunklen Augen von Bassam mustern die Neuankömmlinge. Dann beginnt er auf Französisch ein Gespräch, das rasch ins Politische gerät. „Die Extreme schaden unserer Religion. Aber sie sind als Reaktion auf die Arroganz des Westens nur zu verständlich. Dass die Muslime zu den Underdogs der westlichen Großmächte degradiert wurden, kann uns nicht gefallen.“ Bassam beherrscht die Sprache der ehemaligen Kolonialmacht vortrefflich. Über die Lage im heutigen Syrien meint er: „Vor allem die Jüngeren setzen große Hoffnungen in unseren Präsidenten al-Assad. Doch eine echte Demokratisierung ist nicht in Sicht. Aber Vieles hat sich geändert, vor allem in den Städten. Die Mädchen können frei entscheiden, ob sie studieren oder das Kopftuch tragen wollen.“
Seine Tochter Nada trägt das Kopftuch, so wie seine anderen Töchter. Sie ist gerade mit Brotbacken beschäftigt. Dabei wird sie von drei kleinen Kindern umringt. Sie hat andere Sorgen, als sich um Selbstverwirklichung zu kümmern, wird doch von ihr verlangt, den Haushalt und die Kinder zu versorgen. Loyalität gegenüber der Familie und Gehorsam gegenüber Vater und Ehemann stehen an erster Stelle.
Palmyra. Ein Dattelhändler hat mir eben die köstlichste Palmfrucht geschenkt, die ich je gegessen habe. Die Früchte, übergroß und überreif, hängen in Trauben vor seinem Stand in Palmyra, der „Stadt der Datteln“. In der Oasenstadt sind die Beduinen an der Kefiya, dem rot-weißen Tuch, zu erkennen. Sie widmen sich eifrig dem Handel. Wenn sie die Behausung verlassen, legt die Frau üblicherweise die schwarze Burka an, zum Zeichen, dass kein Mann im Hause ist. Der Reichtum der antiken Stadt offenbart sich in den Resten von Tempelfassaden, in Kollonadenstraßen, im Halbrund des Theaters, das über tausend ZuschauerInnen fasste. Dass die Region schon während der Altsteinzeit besiedelt war, lässt sich durch Höhlenfunde nachweisen. Die ältesten Funde reichen etwa 75.000 Jahre zurück.
Die Stadt der tausend Säulen war über Jahrtausende wichtiger Verkehrsknotenpunkt vom Mittelmeer nach Indien und China. Heute findet hier jährlich das Seidenstraßenfestival statt. Eine junge fünfköpfige Familie rattert auf einem Motorrad vorbei. Vor der Ruine des Baal-Tempels machen sie es sich auf einzelnen Säulenresten bequem. Das Gesicht der Frau bleibt vom Schleier verdeckt, während sie an einer Handarbeit stickt. Als das Jüngste zu schreien beginnt, wird es vom Papa gefüttert.
Das graue Häusermeer von Aleppo wächst in alle Richtungen. In den Altstadtgassen, die von Erneuerungen verschont geblieben sind, entsteht mühelos die Vorstellung vom Leben einer Stadt vor 300 Jahren. Viele kleine und mittlere Industriebetriebe im Textil- und Metallwarenbereich haben sich hier angesiedelt. Über der Stadt erhebt sich die Zitadelle. Von hier aus eröffnet sich ein phantastischer Blick über die ganze Stadt.
Eine junge Frau in Designer-Jeans begrüßt mich freundlich mit „High!“ und beginnt, von ihrem Leben zu erzählen. Als ich frage, ob ich sie fotografieren dürfe, lehnt sie bestimmt ab. Stattdessen springt ihr Freund herbei und bietet mir sein Konterfei für ein Foto an.
Die Kauflustigen kämpfen sich durch zwölf Kilometer überdachte Ladenstraßen im Suq. Dazwischen die unüberhörbaren „Tartiras“, die dreirädigen Wagen. Händler hasten durch die Gassen. Dann und wann huschen verschleierte Frauen vorbei.
Im Kontrast dazu eine Damenrunde im Restaurant. Sie sind jung, gebildet und modebewusst gekleidet. Asma hat als Architektin beim Bau des Flughafens mitgearbeitet und hat noch viel vor. Reem ist Dentistin. Beide sind Musliminnen. Sie können als Frauen ihr Leben bestimmen, wie sie wollen, sind sie sich einig. Ihre Freundinnen sind alle berufstätig: Beamtinnen, Ärztinnen, Architektinnen. Das Studium steht jedem und jeder frei. Die Studiengebühren sind niedrig. Die Frau des Präsidenten, Asma Assad, unterstützt fast alle Frauen- und Berufsförderungsprojekte. Sie ist selbst in London geboren und aufgewachsen. Es ist ihr ein großes Anliegen, dass die Frauen selbständig agieren können.
Die Diskussion kommt in Gang. „Wir sind nach Europa offen! Wir mögen keine Zerstörer!“ Und: „Gewalt kommt selten von den Frauen.“ Sie sehen sich als Vorreiterinnen einer neuen Epoche. Das Gespräch über die traditionelle islamische Kleidung bewegt sich zwischen zwei Polen. Während die eine von Unterdrückung der muslimischen Frau spricht, neigt die andere zur Idealisierung. Das Kopftuch – in Europa der Inbegriff der Rechtlosigkeit der Frauen – steht hier häufig als ein ganz bewusstes Zeichen des Glaubens, der Hinwendung zum Islam.